Rückblick auf das Frühjahrs-Assembly

Ronald Kolb, 9. Mai 2025

Tag 1: Ökologische Perspektiven und lokale Praktiken

Der erste Tag der Frühjahrs-Assembly bot eine umfassende Auseinandersetzung mit ökologisch-ökonomischen Perspektiven, die von lokalen Orten (wie dem Garten von M.1) über regionale landwirtschaftliche Landnutzung bis hin zu kulturellen Konzepten (wie dem Anthropozän) reichten. Es war ein Versuch, einen offenen Wissensraum für alle Teilnehmenden zu schaffen, der sich quer durch persönliche/intime „Naturorte“ über landwirtschaftlich genutzte Flächen bis hin zu NaturKultur-Konzepten erstreckte. Die Veranstaltung brachte persönliche, wissenschaftliche, landwirtschaftliche und kulturelle Perspektiven zusammen und zeigte auf, wie eng ökologische Fragen mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit verflochten sind. Sie machte auch deutlich, wo potenzielle Konfliktlinien liegen.

Bei einem Spaziergang durch den Garten des M.1 mit Ulrike Boskamp erfuhren wir, wie die Pflanzen, Sträucher und Bäume dorthin gekommen sind und welche permakulturellen Maßnahmen in Zukunft geplant sind. Inke Magens gab Einblicke in aktuelle und historische Aspekte der Landwirtschaft in der Region und deren ökologische und soziale Auswirkungen. Ein zentrales Thema war die Bedeutung spezifischer Bodeneigenschaften wie Korngröße, Wasserhaltevermögen, Luftzirkulation und Temperatur für die Pflanzengesundheit und die langfristige Bodenfruchtbarkeit. Das Gespräch befasste sich außerdem mit den Auswirkungen von Bodentypen, intensiver Düngung und Bodenversiegelung auf landwirtschaftliche Ökosysteme. Nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken wurden als wesentlich für die Aufrechterhaltung der Ernährungssicherheit und den Umweltschutz hervorgehoben, während die Zukunft der Landwirtschaft im Kontext von Klimawandel, Wasserknappheit und technologischen Veränderungen, einschließlich Präzisionslandwirtschaft und automatisierten Systemen, diskutiert wurde.

In dieser Diskussion wurden die Reibungen sichtbar [Siehe die Ausstellung als „Kontaktzone“ – die Ausstellung als offener Raum der Reibung und Verhandlung], ein Aufeinandertreffen verschiedener Wünsche und Bedürfnisse (Naturschützer für den Erhalt des Seeotters vs. die Existenzangst der Fischzüchter) mit Problemen der Repräsentation (das Bild der Bauernverbände wurde von außen als traditionalistisch gesehen von einigen, von innen wurde es als divers wahrgenommen und auf politische Abgrenzungen des Bauernverbandes gegen Rechts hingewiesen). Dieser wichtige Moment verdeutlichte die unterschiedlichen Perspektiven, die oft getrennt voneinander fortbestehen, aber selten in einem gemeinsamen (öffentlichen) Raum diskutiert werden.

Abschließend schauten wir mit Christian Huck auf die sozialen und politischen Dimensionen der Umweltzerstörung. Der Kulturwissenschaftler Huck betonte, dass ökologische Krisen nicht nur naturwissenschaftliche, sondern auch soziale und historische Ursachen haben. Aufbauend auf einem Essay von Raymond Williams wurde diskutiert, wie sich die westliche Trennung von Mensch und Natur im Anthropozän zuspitzt – einer Epoche, in der vor allem bestimmte Gruppen durch wirtschaftliche und politische Machtstrukturen überproportional zur Zerstörung von Ökosystemen beitragen. Anhand des Beispiels der Dakota Access Pipeline wurde verdeutlicht, wie Umweltzerstörung oft auf Kosten marginalisierter Gemeinschaften erfolgt, insbesondere indigener Bevölkerungsgruppen. Huck plädierte für eine stärkere Berücksichtigung historisch entmachteter Stimmen und für die Anerkennung alternativer Lebens- und Wirtschaftsweisen als mögliche Antworten auf die ökologische Krise. Abschließend wurde die Rolle des Freihandels kritisch hinterfragt, insbesondere dessen Auswirkungen auf lokale Märkte im “Globalen Süden”.

Leider blieb keine Zeit, diese globalen Aspekte auf eine mikropolitische Ebene, auf die lokale Situation in Schleswig-Holstein, auf Familienbetriebe, usw. zu übertragen, die zwar nicht als „indigen“ gelten, aber dennoch im System des finanzialisierten Kapitalismus nicht vertreten sind.

Tag 2: Künstlerische Praktiken und Transformation

Der Tag begann mit einer in Erinnerung bleibenden Intervention der Künstlerin Daniela Zambrano, die eine Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und indigenen Praktiken bot. Zambrano führte eine Zeremonie im Garten des M.1 durch, bei der verschiedene Andenkartoffelsorten gepflanzt wurden – eine Praxis, die in den Traditionen der Quechua (Peru) verwurzelt ist. Das Ritual beinhaltete Gaben an die Erde, darunter Blumen und Bier, die Dankbarkeit und Respekt für das Land symbolisieren. Zambranos Lesung eines poetischen Textes, der die Kolonialgeschichte der Kartoffel und den Goldraub in Peru verband, unterstrich die ausbeuterische Dynamik der europäischen Imperialmächte. Der Pflanzvorgang selbst löste einen Moment der kulturellen Aushandlung aus [Siehe Translokalität]: Während die Quechua-Tradition den direkten Kontakt mit dem Boden benötigt, werden die Kartoffeln bei der No-Dig-Methode mit Heu bedeckt – eine praktische Anpassung an den den Bodenzustand (Schotter) im Garten des M.1 . Diese Diskrepanz führte zu einem Moment der Verwirrung und des inneren Konflikts, der noch verstärkt wurde, als eine Beteiligte den goldenen Ring ihrer Großmutter im Heuhaufen verlor – ein poetisches, ungeplantes Ereignis, as mit dem Thema der kolonialen Ausbeutung in Resonanz stand.

Dann stand die Rolle der künstlerischen Praxis in urbanen, ländlichen und peripheren Transformationsprozessen im Mittelpunkt. Eva Hertzsch und Adam Page stellten ihre langjährigen Projekte in Berlin-Hellersdorf vor, in denen sie künstlerisches Engagement mit Gemeinschaftsarbeit, Stadtentwicklung und sozialer Partizipation verbinden. Ihre jahrzehntelange Zusammenarbeit mit der Alice-Salomon-Hochschule und lokalen Initiativen führte zur Schaffung eines Ausstellungsraums – eine Art Kunst-Gemeindezentrum–, das als Plattform für interkulturellen Austausch und bürgerschaftliches Engagement dient. Sie betonten die Notwendigkeit, künstlerisches Engagement enger mit politischen, sozialen und städtischen Strukturen zu verknüpfen. Damit wurde gezeigt, wie sich urbane Praxis gegen institutionelle Planungsprozesse durchsetzen kann – oft schneller, flexibler, kostengünstiger und mit größerer Nähe zu den Bedürfnissen der Bewohner.

Frauke Gerstenberg stellte das „Haus der Statistik“ in Berlin als Modell für erfolgreiche Stadtsanierung durch künstlerische Intervention vor. Ein zuvor leerstehendes Verwaltungsgebäude wurde durch Bürgerbeteiligung und kulturelle Nutzung zu einem öffentlichen, sozial orientierten Stadtviertel umgestaltet. Leon Bischinger zeigte seine Aktivitäten im ländlichen Sachsen, wo er mit einer umgebauten „Gulaschkanone“ (einer Feldküche der Bundeswehr) durch mal aufwendige, mal zurückhaltende Performance-Formate Begegnungen auf Augenhöhe schuf.

Diese Projekte zeigten gemeinsam das Potenzial künstlerischer Praktiken, nicht nur als ästhetischer Ausdruck, sondern auch als struktureller Katalysator für sozialen Wandel zu fungieren. In den Diskussionen wurde betont, wie wichtig der Kontext – lokale Gegebenheiten, Bevölkerung und Landschaft – für die Wirkung und Nachhaltigkeit dieser transformativen Initiativen ist.